"Wir bauen echte Naked Bikes - agile und präzise Motorräder mit kurzer Front, vorderradorientierter Ergonomie für bestmögliche Kontrolle" steht auf der Homepage.
Und dann geben sie mir das "Eisenschwein" mit Boxermotor und 1250 Kubik, denke ich mir, als die Abholung bei BMW Motorradzentrum Wien (www.bmw-wien-motorradzentrum.at) in Heiligenstadt vereinbart wird.
Florian Meisenbichler, Gruppenleiter Verkauf in Heiligenstadt, nimmt mir meine erste Skepsis, als er mir die BMW R1250R vorstellt... elektronisch verstellbares Fahrwerk, Brembo Bremsanlage, LED-Kurvenlicht, verschiedene Fahrmodi (Rain, Road, Dynamic, Pro) die man bei der Pro Variante selbst im Detail einstellen kann, ABS Pro, DTC, Keyless Ride, Tempomat und natürlich verschiedene Sitzvarianten (an kleinwüchsige Fahrer wurde gedacht). Auch die Leistungsdaten des Boxermotors in der letzten Generation überzeugen --> 136PS und 143NM werden über die Nockenwellensteuerung ShiftCam erreicht.
Die erste Fahrt überrascht, denn man merkt nichts von den 239kg Gewicht, die R1250R ist überraschend agil und wendig. Hinzu kommt die sehr gutmütige Leistungscharakteristik des V2 Boxers. Ein sehr bequemes und einfach zu fahrendes Motorrad, hätte ich vorab nicht gedacht, um ehrlich zu sein. Wer natürlich permanent "mit dem Messer zwischen den Zähnen" unterwegs ist, der wird vermutlich eher bei der S1000RR fündig werden, bzw. kauft bei der Konkurrenz eine Superduke oder Streetfighter, aber für die Masse der Motorradfahrer wäre die R1250R vermutlich die bessere Wahl. Auch ich würde mich, wenn ich zwischen S1000RR und R1250R wählen müsste, ganz klar für den V2 entscheiden, weil Drehmoment im unteren Drehzahlbereich ist einfach angenehmer zu fahren und wie oft benötige ich die Drehzahlorgien tatsächlich?
Massive, gefräste Spiegelhalter, gefräste Hebelei mit super Haptik, Duttlschutz aus Frästeilen und das Wichtigste... ein Akrapovic, den man bitte, bitte, bitte unbedingt dazu bestellen muss... nicht geizig sein beim Aufpreis von 1025.- EUR.... so viel spart man locker bei Frau und Kind ein und es ist eine gute Investition, weil die BMW R1250R damit einen richtig guten Sound erhält, ohne Kopfweh zu bekommen und noch dazu alles legal.
Beim Praxistest, also das Motorrad vor dem Ampelstart auf der optimalen Drehzahl durch kurze Gasstöße zu halten, neben dem Polizeiauto, wurde ich dann doch dahingehend informiert, dass das eine ungebührliche Lärmerregung darstellt und zu unterlassen sei, egal ob der Akrapovic genehmigt ist.
Das große TFT-Display hat auch eine Sportansicht. Diese zeigt mittig den Drehzalmesser und links die Bremsverzögerung in m/s und rechts die DTC-Eingriffe. Bei wiederholten Bremstests, also von 100 auf 0, konnte ich kein Fading oder Nachlassen der Bremsleistung feststellen.
Der Bremstest ist bei der BMW sowieso ganz einfach, Motorrad gerade halten und Vorderbremse so rasch und fest wie möglich ziehen, Fußbremse detto. Den Rest erledigt die Elektronik. Ich schaffte so lt. Anzeige 9 m/s Verzögerung. Obwohl vorne die ABS-Regelung im Hebel fast nicht spürbar war, merkte man an der Fußbremse doch das rasch einsetzende ABS. Ohne ABS schaffe ich 10m/s, jedoch ist die Sturzgefahr im Alltag viel höher (Stichwort: Schreckbremsung). Ich muss gestehen, ich schaffte es nicht das DTC zum Eingreifen zu bewegen... was eigentlich gegen mein Fahrkönnen, oder für die BMW spricht. Aus meiner Sicht spricht es ganz klar für die BMW :)
Das elektronisch einstellbare Fahrwerk bietet ausreichend Komfort, ohne zu weich oder schwammig zu wirken. Ich bin eigentlich nur im Modus Dynamic gefahren und es hat schlechte Strassen gut geschluckt und mir nie ein unsicheres Gefühl gegeben, und sicherlich hat es einen Mitanteil an der überraschend guten Agilität der R1250R.
Unter dem Soziussitz passt die Apotheke und mit Stopfen die Regenhose, aber bei BMW gibt es alle erdenklichen Gepäcksysteme, die jedoch durch die Anbauten die Silhouette der BMW R1250R verunstalten, zumindest wenn keine Koffer montiert sind. Mit Koffer ist es eh egal welches Motorrad man fährt, oder wer kennt ein "schönes" Motorrad mit Koffer? Sachdienliche Hinweise bitte an Salzamt@motorradreporter.com
Das LED-Kurvenlicht ist ein richtiger Hingucker. Es gibt auch eine Zusatz Matrix Schaltung, dürfte so eine Art Tagfahrlicht sein, wofür habe ich nicht ganz verstanden, schaut aber gut aus. Die Funktion des Kurvenlicht konnte ich in der Tiefgarage erahnen, ob es notwendig ist, bleibt fraglich.
Aber wo viel Licht ist, gibt es hie und da auch Schatten, welchen wir als “subjektiv-objektive” Tester von Motorradreporter natürlich immer erwähnen:
• die Menüführung im Display ist (für mich) nicht intuitiv. Obwohl ich in jüngster Zeit ein paar BMWs gefahren bin, merke ich mir die Bedienung nicht und einmal den falschen Schalter betätigt, ist man sofort wieder im Hauptmenü, was nervt. Man navigiert mit dem Drehrad durch links und rechts schieben desselbigen durch das Menü, will man in das Untermenü gelangen, dann dreht man nicht mit dem Rad nach unten, sondern muss einen anderen Schalter nach unten drücken.
• der Schaltautomat funktioniert nicht perfekt, wenn man die Finger an der Kupplung lässt. Ich bin das so gewohnt und fahre immer mit 2 Finger an der Kupplung und Bremse. BMW hat dort aber ganz sensible Mikroschalter verbaut, die glauben, dass meine am Hebel abgelegten Finger die Kupplung betätigen und dann verweigert der Schaltautomat die Tätigkeit (weil ich ja für die Elektronik die Kupplung betätige)
• der Motor und seine Leistungsentfaltung sind so einfach zu handhaben, dass mir vorkam, ich habe die 143Nm noch nicht gefunden. Spricht eigentlich für das Motorrad und nicht dagegen, ich erwähne es trotzdem, weil ich 143NM spüren möchte, wenn mir danach ist und ich spürte sie nicht! Die BMW R1250R ist definitiv kein widowmaker!
• als "Extremspurgassenfahrer" in der Stadt ist der V2 Boxer für mich ein echtes Problem, weil die zwei Zylinder stehen links und rechts weiter raus als der Lenker. Normalerweise ist der Lenker, bzw. der Spiegel die maßliche Referenz, ob man noch durchkommt, oder nicht. Eine Fehleinschätzung ist normal nicht tragisch, nur ein dumpfes Klack macht die Fehleinschätzung offensichtlich. Man bleibt dann kurz stehen, richtet den Autospiegel wieder aus, entschuldigt sich und fährt weiter. Bei der BMW R1250R würde das aber anders enden, da gesellt sich dann zum dumpfen Klack noch ein Schleifgeräusch des Zylinders von der Autoseite hinzu und im schlechtesten Fall wird man wie eine Billardkugel auf die andere Seite geschleudert, wodurch auch der zweite Zylinder mit der Seitenwand des zweiten Autos in Berührung kommen könnte. Eine einfache Entschuldigung wird dann nicht mehr ausreichen, sofern man selbst nicht zu Fall kommt.
Fazit:
Die BMW R1250R ist ein hochwertig verarbeitetes Motorrad mit einem gutmütigen Motor der für Jedermann/frau fahrbar ist und niemanden überfordert. Die 239kg Gewicht merkt man nicht und die BMW ist überraschend agil, ohne nervös zu sein. Durch die ganzen elektronischen Helferlein fühlt man sich sehr gut unterstützt und nicht bevormundet! In Österreich ab EUR 17.000.-, mit Optionen bin ich bei knapp 20.000.- gelandet. Der Akrapovic Auspuff ist Pflicht. Für mich persönlich sind die beiden ausgestellten Zylinder das größte Hindernis, um dieses Motorrad als "daily driver" in der stauverstopften Stadt zu nutzen. Als Freizeitmotorrad könnte ich es mir sehr gut vorstellen. Wer in Wien wohnt, der lässt sich hervorragend im BMW Motorradzentrum Wien beraten. Für BMW-Kunden hat man dort immer ein offenes Ohr, für alle Arten von Problemen, egal ob im Kreuz etwas zwickt, oder der Drehzahlmesser um 50 U/min mehr anzeigt als in den technischen Daten angegeben. So ist das eben wenn man ein Premiumprodukt kauft.