Gefahrenstellen erkennen, Richtungsänderungen und Abzweigungen finden, dabei den Blick aber nicht zu lange von der Strecke abwenden und Distanzen und Himmelsrichtungen ins Gefühl bekommen. Mit dem Originalroadbook der finalen Etappe der Marokko Rallye ausgerüstet wurden die Erstleser auf den knapp 170km langen Rundkurs geschickt. Dabei muss in alle Himmelsrichtungen gefahren werden, was die Navigation doch recht anspruchsvoll macht, ist Teamchef Heinz Kinigadner doch ein wenig stolz auf seine beiden Schützlinge, als sie innerhalb der vorgegebenen Zeit den Weg ins Ziel gefunden hatten. Zum ersten Mal die Kombination zwischen Roadbook und navigieren trotz der Geschwindigkeit, trotz der komplett neuen Streckenführung, die für genug Überraschung gesorgt hat, das war schon ziemlich heftig. Das Gehirn muss reflexiv funktionieren. Man hat eine Zehntelsekunde Zeit auf die Himmelsrichtung zu schauen, dann wieder auf die Straße, eine Zehntelsekunde Zeit sich zu überlegen, wo navigiert man hin. Man muss auch teilweise den Distanzzähler nachjustieren, weil es immer Abweichungen gibt. Dass es so gut funktioniert, hätte ich vorher nicht gedacht, das hat mich sehr gefreut und mich auch beruhigt, berichtet der 53-jährige Moretti von der ersten Spurensuche.
Gemäß dem tatsächlichen Rallyeleben gab es auch noch eine Marathonetappe, bei der die drei Piloten eine Nacht im Biwak von Chegaga unterm Sternenhimmel verbringen mussten, ohne dass ihre Motorräder serviciert werden durften. Für Cyril Despres eine unheimlich wichtige Station: Ohne jegliche Ablenkung konnte ich ihnen in diesen Stunden saemtliche Tricks verraten. Die beiden sind sehr unterschiedliche Fahrtypen und doch waren die individuellen Fortschritte taeglich sichtbar. Diese Trainingseinheit war mit Sicherheit eine wichtige Etappe in der Vorbereitung. Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen ging es zurück ins Basislager.
Dieses Marokko-Training war für mich emotional sehr wichtig; denn wäre ich bei der Rallye zum ersten Mal in dieses wunderschöne Land gekommen, wäre das ein Zuviel an Eindrücken für mich gewesen. Es ist so unbeschreiblich schön, es ist alles so anders. Einerseits befinden wir uns in einem Sport, bei dem es um Zeit geht, andererseits sind wir in einem Land, in dem die Zeit vollkommen egal ist. Allein diese Tatsache arbeitet sehr viel in mir und ich musste mich wirklich eine Woche daran gewöhnen. Es ist eine große Erfahrung und enorm beeindruckend, erzählt der jüngere der beiden Brüder von einer fantastischen Schlittenfahrt der Gefühle.
Heinz Kinigadner, Teamchef des KINI KTM Rally Racing Teams und selbst Dakar-Veteran, zieht noch in den Dünenfeldern vor Ort eine erste Bilanz: Natürlich haben die beiden noch einige Mankos und die Zeit wird allmählich knapp. Trainingsrückstand rächt sich bei einem derartigen Rennen ganz gewaltig. Man sitzt jeden Tag viele Stunden auf dem Motorrad und am nächsten Tag wieder und am Tag danach auch wieder und wenn man kugelt und einen blauen Oberschenkel hat, am nächsten Tag gehts trotzdem weiter. Da kann man nicht Pause machen. Allerdings sind beide motiviert, das merkt man und sie spüren auch selbst, wo es fehlt und werden zunehmend nervöser. Das gilt es jetzt noch auszumerzen und dann im Jänner trotzdem richtig fit dazustehen. Sie sind beide Schauspieler und wären keine guten, wenn sie nicht das Talent hätten, sich auf eine Sache zu konzentrieren und sich darauf fokussiert hinzuarbeiten. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass beide fit am Start stehen und das auch zu Ende bringen werden.
Fahren am Sand und navigieren mit dem GPS und den Himmelsrichtungen stehen in etwa vier Wochen in Tunesien auf dem Trainingsplan.