Ambrosius spricht zur Schräglage der Nation: das Carlo-Corner und die Essenz der Lebensfreude

ambrosius gummibaerli


DER BAUM DES URSPRUNGES

 

Mit der Beschränkung auf das Wesentliche gewinnen wir die Initiative für eine individuell zufriedenstellende Gestaltung der Tagesplanung zurück

Zeitdruck, Stress, Magengeschwüre Die Flut von Forderungen, Verpflichtungen und Aktivitäten scheint jeden Tag anzusteigen, weiße Flecken im Terminkalender schmelzen schneller dahin als unsere bedauernswerten Gletscher. Neue Technologien suggerieren Effizienz im Zeitmanagement, in Wahrheit erschließen sie neue Betätigungsfelder, die den Terminplan bis zum Siedepunkt erhitzen.
Global Warming nicht nur in der Außenwelt, auch das individuelle Erleben steht kurz vor dem Hitzekollaps. Was natürlich auch vermehrte Co2- und Methanbelastung der Umwelt zur Folge hat, führen doch Stress zustände sehr oft zu Verdauungsproblemen.

 

 

ZURÜCK ZUR ÜBERHOLFREUDE


In meinem Seminar „Global Warming der Innenwelt ? Strategien der Entschleunigung“ betone ich immer wieder die Notwendigkeit der Rückkehr zum Baum des Ursprunges. Der Baum des Ursprunges, die Quelle natürlicher Lebensfreude. Es geht darum, persönliches Zeitmanagement durch Reduktion komplexer Mechanismen auf die Essenz der Lebensfreude zu optimieren.

 



Im gegebenen Fall steht der Baum des Ursprunges im Wienerwald. Neben einem Forstweg, der nach etwa 25m in die Exelberg Bundesstraße mündet Von hier aus genießt man Einblick auf ein kurzes Stück der Bundesstraße und kann bei Lust und Laune den vorbeiziehenden Verkehr beobachten. Dass es sich bei diesem Baum um den Baum des Ursprunges handelte, wurde mir erst bewusst, als ich neben dem Baum mehrere aufgerissene Plastiksäckchen der Firma Harribo entdeckte. Einige davon noch halbvoll mit Gummibärchen Am Forstweg fanden sich zudem Spuren von durchdrehenden Motorradreifen. Spuren von Straßenreifen, wie ein erfahrener Fährteesucher mit Leichtigkeit feststellen kann. Es gab keinen Zweifel: dies war die Stelle, an der Carlo Furioso, damals Vize-Bergmeister der Dopplerhütte, auf Beute lauerte.

 

 

EIN HINTERREIFEN, KEINE 2000KM


Es waren die beschwingten Achtziger, das gutbürgerliche Österreich zankte wegen dem Atomkraftwerk  Zwentendorf und dem Donaukraftwerk Hainburg. In der von Umweltaktivisten besetzten Hainburger Au wurzelt ein anderer Baum des Ursprunges ? der Baum ökologischer Vernunft und  einer umweltverträglichen, nicht ausschließlich an Wachstum orientierten Marktwirtschaft. Die Grünbewegung formierte sich, drängte in die Politik. Idealistisch motivierte Vordenker wie Kaspanaze Simma oder die resche Freda Meissner-Blau wiesen erstmals auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energie- und Konsumbilanz hin.  Neues, visionäres Gedankengut, das auch am wackeligen Stammtisch der Dopplerhütte leidenschaftlich diskutiert wurde. Schließlich waren sowohl die Energie- als auch die Konsumbilanz im Kampf gegen den Asphalt von geradezu unerträglicher Ineffizienz geprägt Mit einem Michelin Hi Sport Hinterreifen ? damals die unbedingt notwendige Ausstattung ? kam man bei beherzter Fahrweise keine 2000km weit, noch schlimmer lagen die Dinge bei Fahrleistungen und Verbrauch der damals angebotenen Eisenhaufen. Carlo's mühsam am Lederriemen geschärfte Yamaha RD 500 LC überwältigte Stammtisch wie Besitzer mit grandioser Mehrleistung und rekordverdächtigem Treibstoffverbrauch. Wobei sich die Mehrleistung leider nur am Stammtisch manifestierte, der Verbrauch zwischen 15 und 20l aber an der Tankstelle in harten Schillingen bezahlt werden musste. Was aber immer noch angenehmer war als die regelmäßigen Fußmärsche bei leer gefahrenem Tank.     

 

 

GUTE RUNDENZEITEN NUR MIT GUMMIBÄRCHEN


Es herrschten unstete Verhältnisse in den Winkelwerken der Achtziger Eine Zeit, in der Wegelagerer auf 600er-Enduros plündernd und brandschatzend durchs Land zogen. Eine Zeit, in der man seinen Worten Taten folgen lassen musste, um Schwätzer und legitime Herausforderer entsprechend zu sortieren. Und so bezog Carlo Stellung in verborgener Position, um das vorbeifahrenden Einspurvolk zu begutachten und bei Bedarf Ordnung und Rangliste wieder herzustellen. Eine Stellung, die ich anhand der herumliegenden Harribo Gummibären-Sackerl zweifelsfrei identifizieren konnte. Immer wenn ihm der Blutdruck das tiefe Rot in die Augen malte, verschlang Carlo Gummibärchen wie ein Wal das Plankton. Auf der Rennstrecke hatte er immer einen ganzen Karton dabei und wenn ihm die Bärchen ausgingen, fielen seine Rundenzeiten ins Bodenlose. Am Anfang gelang es uns immer wieder, seiner Gummibärchen habhaft zu werden und CF wie einen löchrigen Socken herzubrennen. Dann versteckte er die Sackerln rund um die Strecken und ich kann der Nachwelt berichten, dass viele seiner explosiven Expeditionen ins Gemüse nicht das Resultat hoffnungsfroher Fahrweise waren, als sie vielmehr der unauffälligen Beschaffung versteckter Gummibärchen dienten. 

 

 

SCHULTERVERLETZUNG BEIM AUFLAUERN


Die nicht ganz geleerten Packungen neben dem Baum zeichneten ein Bild forensischer Aussagekraft. Niemals hätte Carlo ein oder gar mehrere Gummibärchen freiwillig weggeworfen. Etwas sehr Substantielles muss hier passiert sein. Wir können davon ausgehen, dass FC je nach Eiligkeit des vorbeifahrenden Verkehrs ein angefangenes Sachkerl entweder in aller Ruhe geleert hat, bevor er sich an die Verfolgung machte. Oder aber im plötzlichen Angesicht hunnischer Umtriebe auf der Straße das Sachkerl kurzerhand über die Schulter entsorgte, um mit impulsiver Drehzahl die Verfolgung aufzunehmen. Erhebliche Drehzahl lässt sich aus der Tiefe der Beschleunigungsspuren im harten Boden schließen, aber auch das Muster der Sackerlverteilung am Waldboden ist von großer Mitteilungskraft. Nach genauer Vermessung ließ sich sagen, dass die leeren Sackerln in recht engem Radius ganz nahe am Baum liegen, während die noch gefüllten Sackerln in sehr Unregelmäßigkeiten Abständen bis zu 15m  hinter dem Baum zu finden waren.

 


Daraus ließen sich gleich mehrere Schlüsse ziehen: zum einen bezog Carlo immer die gleiche Lauerposition neben dem Baum. Zum anderen hatte die Wurfweite der noch gefüllten Sackerln etwas mit den Vorgängen auf der Straße zu tun. Ich vermutete, dass sich die Fahrgeschwindigkeit der auf der Straße auftauchenden Motorräder proportional zur Wurfweite der Sachkerl verhielt. Wenn ein Henker am Knie auftauchte, flog das gefüllte Sachkerl etwa 5 Meter. Ein schlampiger Wurf über die Schulter sozusagen. Wenn aber der Berzerk persönlich den Asphalt aufkochen ließ, flog das angefangene Sachkerl bis zu 15 Meter weit. Folge einer sehr hektischen Wurfbewegung.

 


Ich habe den Waldboden auch im Bereich von 20m hinter dem Baum abgesucht, konnte aber dort keine Sachkerl finden. Dafür hatte ich anfangs keine Erklärung Im Zuge weiterer Recherchen am Tatort entdeckte ich aber eine kleine, bergab führende Rinne etwa an der 20m-Marke. Diese Rinne nähert sich weiter hinten dem Forstweg an und endet in einem kleinen Graben neben dem Weg. Genau dort, unter einer Schicht von Laub und Astwerk, wurde ich schließlich fündig: mehrere aufgerissene Sackerln mit Inhalt und sogar ein ungeöffnetes Sachkerl.
Damit schloss sich die Kette der Indizien. Irgendjemand oder irgendetwas veranlasste Carlo, die Gummibären-Sackerl 20m weit über die Schulter zu werfen. Ein rekordverdächtiger, olympiareifer Wurf. Ein Wurf in allerhöchster Aufregung. Möglicherweise ein Wurf in Todesangst.

 


Nach einem kurzen Besuch des Zuckergeschäftes Honigbär in Neuwaldegg führte ich den Sackerlwurf über die Schulter im Eigenversuch durch. Natürlich im Sattel einer Supersport mit  Lederjacke und Protektoren.  Mein Höchstwert mit aufgerissenem Sackerl und halbem Inhalt lag bei 14m. Danach besorgte ich ein Sackerl mit Englhofer Firn Bonbons und wog den Inhalt sorgfältig auf das Gewicht eines halbgefuellten Harribo Gummibären-Sackerls Bei nächster Gelegenheit ersuchte ich Carlo so unauffällig wie möglich, das Englhofer-Sackerl so weit wie möglich über die Schulter zu werfen. Er lehnte rundweg mit der Begründung ab, dass seine Schulter bei dieser Bewegung zu sehr schmerzen würde Mein dringender Verdacht bestätigte sich: Carlo hatte sich bei seinen 20m-Wuerfen die Schulter bedient. Natürlich tat Carlo so, als wollte er unbedingt wissen, wie ich denn auf diese komische Idee mit dem Sackerl-Weitwurf gekommen wäre Er wusste ganz genau, dass seine Lauerstellung aufgeflogen war. Ich wusste ebenso genau, wer für seine Schulterschmerzen nach den 20m-Wuerfen verantwortlich zeichnete.

 



DER HINTERHALT ALS ZEITFAKTOR


Die Analyse der Lauerstellung am Baum des Ursprunges führt nun hinsichtlich Zeitmanagement und Lebensfreude zu einem zwiespältigen Ergebnis. Fest steht, dass der Hinterhalt für den Genuss Freude spendender Überholmanöver unabdingbar ist. Es ist statistisch fast unmöglich, einem anderen, eiligen Fahrer in derselben Fahrtrichtung zufällig über das Hinterrad zu laufen. Selbst bei 10km/h schnellerer Durchschnittsgeschwindigkeit müsste man sich auf einer 20 Kilometer langen Strecke zufällig nicht mehr als eine Minute hinter dem langsameren Fahrer befinden, um einen Überholvorgang konsumieren zu können Und mehr als 20km spielt es zumeist nicht, weil Ortsgebiete, Kreuzungen und allfällige Cafepausen die Karten neu durchmischen.

 

Mehr als 10km/h Unterschied in der gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeit nehmen der Sache wiederum die essentielle Substanz. Aber ja doch, Wappler torkeln allerorten durch die Gegend. Der Quell der Lebensfreude wird aber nur vom soliden Überholvorgang am oder jenseits des Grenzbereiches gespeist. Und nur gegen einen Fahrer, der sich selbst für sehr schnell hält. Bestehen da auch nur geringe Selbstzweifel, erlischt der Widerstand schneller als die Wunderkerze am Christbaum.  

 

 

DER AUFBAUFÄHIGE WAPPLER


Klarerweise haben wir in ausgedehnten Taktikbesprechungen Mittel und Methoden diskutiert, einen Hetzwappler möglichst langsam abzufackeln. Wenn man so auf längeren Strecken unterwegs ist und verzweifelt nach Ablenkung von Kreuz- und Knieschmerzen sucht, ist auch der Dreiviertel-Champion ein hochwillkommenes Geschenk. Ein Geschenk, das man mit Umsicht und sensiblen Händen auspacken muss, um den Inhalt nicht unbrauchbar zu machen. So ist das Auffahren mit wesentlich höherer Geschwindigkeit und drohend geschwungenem Kriegsbeil unbedingt zu vermeiden. Ganz im Gegenteil muss man sich so verhalten wie möglich heranarbeiten und mit seitlich versetzter Linie sicherstellen, dass man im Rückspiegel bemerkt wird.

 

Hat man die an wiederholten, leichten Kopfbewegungen zum Spiegelstudium erkennbare Aufmerksamkeit, lässt  man sich in Kurven wieder etwas zurückzufallen Auf der Geraden nähert man sich wieder und  deutet schließlich vor der nächsten Kurve mit einer Position an der Mittellinie den Versuch eines zaghaften Überholmanövers an. Natürlich scheitert dieser Versuch und nach der Kurve ist der Abstand wieder etwas größer Je nach Fahrprofil des Geschenkes wird man jetzt feststellen, dass  sein Vorwärtsdrang in den Bereichen zunimmt, in denen er sich sicher fühlt Viele Fahrer zögern im Kurveneingang, legen aber dann umso mutiger um. Mit einem Licht im Spiegel wird dieser Fahrer in der Regel im für ihn unsicheren Kurveneingang eher noch vorsichtiger während die Schräglage danach immer mutiger wird.  So lassen sich die erstaunlichsten Fahrprofile beobachten.
Chauffeure, die Links- und Rechtsradien kontinuierlich in deutlich unterschiedlichen Schräglagenwinkel fahren. Gottergebene, die blinde Kurven stets in derselben Schräglage durchmessen wie offene Ecken. Kurzsichtige, die in Kombinationen magisch von der Gegenspur angezogen werden und Gasmeister, die sich mit dem Blindenstock durch die Ecken tasten, um dann im Angesicht der rettenden Geraden den Drehgriff zu umarmen. Ein erwähnenswertes Fahrprofil in diesem Zusammenhang ist der Abriegler. Er lässt in Kurven nichts anbrennen, bleibt aber aber auf Geraden und in schnellen Passagen eisern unter einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit  Womit wir beim Kern der Überholfreude angelangt wären An einem Abriegler, der sich nicht zu mehr als -beispielsweise - 160km/h motivieren lässt mit 2 Kilo vorbeizufahren ist schlichtweg idiotisch. Und vollkommen unbefriedigend. Lebensfreude verspricht die Konsumation des Überholvorganges nur dann, wenn sie in der Komfortzone des Geschenkes erfolgt. Den Abriegler muss man also in den Ecken stellen, genau wie man Umleger auf der besseren Linie und Spätbremser im Kurveneingang verabschiedet.

 

 

DIE EVOLUTION DER ÜBERHOLKULTUR


Nachdem das langsame Abfackeln aufbaufähiger Wappler nur als Notlösung auf Leerkilometern dienen kann, bleibt der Hinterhalt, das verborgene Warten auf ernstzunehmende Reisende, die entscheidende Voraussetzung zur regelmäßigen Konsumation substantieller Überholmanöver. So sehr aber der Baum des Ursprunges im Wienerwald zum symbolischen Leitbild der Lebensfreude geworden ist, so kritisch müssen wir ihn aus heutiger Sicht beurteilen. Details wie Einbiegen in den Forstweg, umständliches Umdrehen des Motorrades und angespannte Aufmerksamkeit bei kurzer Reaktionszeit, können nicht zur Substanz der Lebensfreude beitragen. Und da sind wir noch gar nicht bei den technischen Aspekten.

 

Mit kalten, staubigen Reifen in die Geschehnisse einzugreifen, ist immer eine schlechte Idee. Und sorgt in den ersten Kurven für zusätzliche Stressbelastung.      
Dazu kommt, dass sich Wartezeiten auf lohnende Kandidaten endlos ausdehnen können Und nach langem Herum-sitzen wird es extrem schwierig, im Brandfall sofort ins Feuer zu springen.
Keine Frage, der Hinterhalt mit stehendem Motorrad kann nicht der richtige Weg zur Essenz der Lebensfreude sein. 
Wie aber lassen sich gehaltvolle ? und vor allem regelmäßige ? Überholvorgänge in einem entspannten, weitgehend stressfreien Umfeld darstellen?  Draußen im Land, an den Stammtischen zwischen Krautsdorf und Rüben, ist Umdrehen und Nachfahren sehr populär. Deswegen ist es auch das Land. Und am besten macht man das mit einer am Helm aufgeklebten Irokesen-Bürste, damit nur ja niemand erkennt, dass der lokale Dorf-eilige, der jetzt im Rückspiegel drohende Gebärden einnimmt, vor 10 Sekunden in Gegenrichtung vorbeigefahren ist. Selbstverständlich gibt es auch bei höchsten Drehzahlen eine gewisse Etikette, bei deren Nichtbeachtung man sehr schnell als Tölpel gebrandmarkt wird.
Ganz schlimm ist es, wenn man in der verborgenen Lauerstellung oder beim hastigen Umdrehen von anderen Motorradfahrern gesehen wird. Beim Umdrehen ist das eine recht durchwachsene Sache. Wird man  im Rückspiegel auf frischer Tat ertappt, kann man sicher sein, dass sich niemand mehr motivieren lässt. Außer vielleicht dazu, den Vogel zu zeigen. Also darf man erst umdrehen, wenn man sicher ist, nicht gesehen zu werden. Das ist auch so eine durchwachsene Sache. Auf einer langen Geraden muss es ein ebenso langer Abstand sein, um nicht beim Umdrehen ertappt zu werden. In Kurven dauert es nur Sekunden, bis man vor dem Sichtfeld des Spiegels des in entgegengesetzter Richtung Vorbeifahrenden sicher ist. Dafür ergibt sich jetzt das Problem mit dem Nachfolgeverkehr, den der emsige Umdreher nicht einsehen kann.

 

 

VALENTINO ROSSI LIEGT IN ZIMMER 1, CARLO IN ZIMMER 15


Bei Motorradpartien unter Zeitdruck ist dieser Nachfolgeverkehr sehr oft bemüht, nach vorne aufzuschließen und bewegt sich mit ebensolcher Ungeduld wie der Fahrer, der den Anlass zum Umdrehen gab. Recht unerfreuliche Begegnungen sind die Folge. Auch der Zeitfaktor darf beim Umdrehen nicht unterschätzt werden.  Findet man nicht sofort eine geeignete Stelle oder wird vom Verkehr in der Ausübung eines heroischen U-Hakerls behindert, ist der Schnellzug abgefahren. Hier sind wir wieder bei der gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeit. Wenn ein Henker dank eines verzögerten U-Hakerls ein paar hundert Meter Vorsprung bekommt, sieht man ihn erst in der nächsten Ortschaft wieder. Oder im Unfallspital Tulln, wo man aber wenigstens Wert auf die richtige Rangordnung legt: ich fand mich in Zimmer 9,

 

Carlo bekam Zimmer 15. Sehr zu meinem Leidwesen konnte ich damals aufgrund einer erheblichen Gehbehinderung die Belegschaft in den Zimmern 1 bis 8 nicht inspizieren. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass Zimmer 1 für Freddie Spencer und Valentino Rossi reserviert war. Meinen wiederholten Anträgen an die strenge Stationsschwester, mich doch in Zimmer 2 zu verlegen, wurde aus vorerst ungeklärten Gründen nicht entsprochen. Bis dann die Türe aufging, der Gustl Auinger hereinschaute und sagte: „Wennst noch einen Antrag stellst, wirst ins Zimmer 14 verlegt!“
Den Baum des Ursprunges, den Quell der Lebensfreude, wird man in dieser Umgebung vergeblich suchen. Die Defizite bei Lebensfreude und Zeitmanagement sind einfach zu groß. 
 



DER BMW-CLUB IM WINDSCHATTEN DER LEMMINGE


Nachdem ich also Umdrehen und Nachfahren zur Vertiefung der Lebensfreude für absolut nicht zielführend halte, gibt es doch Momente, wo man mit dieser Methode reiche Ernte einfahren kann. Auf den endlosen Asphalt-Hochschaubahnen in Spanien und den USA - und teilweise in Italien - kann sich das U-Hakerl durchaus bezahlt machen. So wie bei dem in Gegenrichtung vorbei sprudelnden BMW-Club, der mit großer, organisatorischer und fahrerischer Disziplin beeindruckte. Gleiche Abstände, gleiche Körperhaltung, gleiche Schräglage und alle auf der gleichen Linie. Eine gute, flüssige Linie mit Betonung auf optimalen Blickwinkel in den Gegenverkehr, wie ich im Vorbeifahren feststellen konnte. Präzision wie beim Exerzierdienst.

 

Als alter Gardist musste ich mich dieser Parade nach einem eiligen U-Hakerl anschließen. Und weil die Distanz bis zur nächsten Ortschaft so lang war, konnte ich mich leutselig herantreiben lassen und einige Zeit zu beobachten. Für Kurveneingang, Schräglagenwinkel und Linienwahl vergab ich begeistert Höchstnoten Auch beim Heraus-beschleunigen aus den Ecken bewahrte die BMW-Abteilung vorbildliche Contenance:  in  Schräglage wurde beherzt zugegriffen, sobald der Bock gerade war, begnügte man sich mit  lockerem Vortrieb.

 

Maximaler Fahrspaß bei grösstmöglicher Sicherheit. Gleichzeitig sanken meine Hoffnungen auf gehaltvolle Überholmanöver auf den Nullpunkt. Zuviel Disziplin und Vernunft. Ich wollte schon umdrehen und meinen Heimweg fortsetzen, als der Schlussmann der Partie vermehrt von der Linie der Vorausfahrenden abwich und ganz offensichtlich einen möglichen Überholvorgang meinerseits blockieren wollte.

 

Wahrscheinlich aus Mitgefühl für den einsamen, freudlosen R1-Chauffeur  hinter ihm. In einer langen Kurve rollte ich also sehr zaghaft und unauffällig außen an ihm vorbei und plötzlich wurde da geschaltet, hochgedreht und wild angedrückt. Der Schlussmann der Vernünftigen mutierte zum weiß-blauen Rächer der Überholten Etwas überrascht erhöhte ich das Tempo und stellte mich einige Ecken später seitlich versetzt hinter dem Führungsmann an. Der Blick in den Rückspiegel  bestätigte dieses ungute Gefühl beobachtet zu werden, wie man es von langen, dunklen Gängen mit offenen Türen kennt. Eine Gewitterwolke sehr entschlossen wirkender BMW-Treiber waberte an meinem Hinterrad. Was war denn da dem Abstand passiert, meine Herren?

 


Vor uns eine Gerade auf eine Kuppe mit einer schnellen, blinden Links, gefolgt von einer kurzen bergab-Geraden in eine stark eindrehende Links. Vor der Kuppe schob ich mich bei runden 140km/h an der Mittellinie ganz langsam am Anfuehrer vorbei. Dieser erhöhte die Geschwindigkeit etwas und hielt sich leicht nach hinten versetzt neben mir. Bei guter Streckenkenntnis verträgt die Kuppe gute 160km/h. 145km/h im Eingang, ohne intime Streckenkenntnis ein echtes Glaubensbekenntnis. Entweder er kannte die Strecke oder er kannte seinen Schöpfer Auf der folgenden bergab-Geraden reduzierte ich die Geschwindigkeit in Erwartung der eindrehenden Links. 130km/h sind hier die Obergrenze. Auf der Ideallinie, von ganz außen angetragen. Von der Fahrbahnmitte entsprechend weniger. Und da ist ein großer Unterschied zwischen einer Kurve, die man im dynamischen Fahrfluss anbremst und einer Kurve, auf die man mit gleichbleibender Geschwindigkeit zurollt. 120 am Tacho, der BMW-Mann hartnäckig auf meiner Höhe Kein Beschleunigen, kein Bremsen, einfach nebeneinander auf die Ecke zu.

 

Wahrscheinlich war er ein großer Verehrer von James Dean. Die große Mutprobe - wer bremst zuerst- Niemand bremste. Mit knirschenden Zähnen  klappte ich die R1 auf die Kante und nahm das Adrenalin gleich in die Folgekurven mit. Dann der Blick in den Spiegel: leerer Asphalt und blauer Himmel. Die Gewitterwolke hatte sich verzogen. Wo war der BMW-Club? - Hatte er den Baum des Ursprunges neben der Fahrbahn gefunden?

 

 


Als nach einigen Minuten langsamer Fahrt noch immer keine Scheinwerfer zu sehen waren, verzog ich mich in einen Schotterweg mit Überblick. Wenn man da so steht und wartet und dabei noch an  Lemminge denkt und wie sie hintereinander über die Klippe gehen, bekommt man schon ein schlechtes Gewissen.  Es stellt sich auch die Frage, ob man sich eventuell an den Aufräumarbeiten beteiligen sollte.

 

 

VOM AUSSTERBEN DER SAURIER  


Aus evolutionstheoretischer Sicht kann man die heutige Notlage der einspurigen Jäger durchaus mit dem Aussterben der Dinosaurier nach einem Meteoriteneinschlag vor 60 Millionen Jahren vergleichen. Die Meisten überlebten den Einschlag nicht und wer übrigblieb, musste feststellen, dass auch die Beutetiere weitgehend den Löffel abgegeben hatten. Von den kleinen Happen - den Wapplern der Urzeit, aus denen schließlich die Primaten hervorgehen sollten - wurde ein gestandener Raubsaurier nicht satt. Heute stellt sich die Situation der jagenden Spezies noch viel bedrohlicher dar. Zusätzlich zum möglichen Einschlag in der Horizontalen kann die Jagd ganz gewaltig in der Geldkatze einschlagen.

 

Die Gefahr eines staatlichen Meteoriteneinschlages im Führerschein nimmt mit jedem Tag zu. In diesem Bewusstsein des nahenden Endes gewinnt effektives Zeitmanagement noch mehr an Bedeutung. Um die verbliebenen Reste lohnender Beutetiere auszumachen, ist eine Position mit Fernsicht unverzichtbar geworden.

 

 

 

Erfahrene Jäger beziehen also Stellung auf Aussichtspunkten, von wo sich die Straße kilometerweit überblicken lässt Sobald unten im Tal verdächtige Umtriebe bemerkbar werden, hat man genug Zeit, der Beute entgegen zufahren, rechtzeitig umzudrehen und sich überholen zu lassen. Die Vorteile liegen auf der Hand: man kann die Reifen auf Temperatur bringen und inspiziert die Strecke nur wenige Minuten  vor der Jagd. Ein statistisch wertvoller Sicherheitsvorsprung gegen unerwartet auftretende Gefahrenmomente. Wer längere Zeit in einem Hinterhalt wartet, setzt sich im Vergleich einem entsprechend höheren Veränderungsrisiko auf der Strecke aus. In der Bergposition erreichen Lebensfreude und Zeitmanagement Hoechst-werte. Man kann sich auf einen Stein setzen und den Blick ins weite Land genießen oder einfach im Vorbeifahren kurz schauen, ob sich irgendwo auf der Strecke lohnende Ziele tummeln.

 

Und es gibt keinen Zeitdruck. Zudem plätschert der Quell der Lebensfreude niemals lauter als beim „zufälligen“ Überholt-werden Wer überholt, wird alles tun,  nicht zurück überholt zu werden. Mit Sicherheit die beste Methode, das Opfer wirklich an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu treiben.  

Bei allen Sicherheits- und Komfortvorteilen gibt es einen entscheidenden Nachteil für die Bergposition: man benötigt einen Berg. Und die stehen leider nicht an jeder Ecke herum. Was also kann der Flachlandsaurier tun, um nicht zu verhungern?

 

 

DIE RENNSTRECKE  DER WATSCHENBAUM


Immer wieder wird das Wort „Rennstrecke“ strapaziert, wenn von eiligem Motorradfahren die Rede ist. Warum man denn auf der Straße wildert, wenn doch auf der Rennstrecke alles viel sicherer und geordneter abläuft Wohl war, wohl war. Leider aber haben sich die Zeiten auch hier grundlegend geändert  Die Rennstrecken-Szene hat sich soweit spezialisiert, dass für Straßenreifen und Serienfahrwerke gerade noch der nasse Fetzen übrigbleibt, mit dem man vom Parkplatz gewatscht wird. Der Baum des Ursprunges, der Quell höchster Lebensfreude, verwandelt sich mit einer Seriengurke auf der Rennstrecke in einen Watschenbaum. So wie bei meinem unschuldigen Versuch, die Möglichkeiten der neuen KTM Adventure am Pannoniaring auszuloten.

 

Bei Rundenzeiten zwischen 2.06 und 2.08 fährt scheinbar jede ernste 600er im Umkreis von 300km vorbei. Eine epochale Heimsuchung, über die mich auch die zahlreich vorhandenen Wappler nicht hinwegtrösten konnten.
Da kann der Bock noch so gut sein. Ohne technische Nachhilfe und Runden bis zum schwindlig werden ist auf der Rennstrecke kein Staat zu machen.

 


   

DAS CARLO-CORNER

              
Zeit ist kostbar, die Berge fern und die Rennstrecke ein Watschenbaum, Trotzdem gibt es Hoffnung für den Flachlandjäger Eine höchst effektive, zeitsparende Methode, die in langen Versuchsreihen verfeinert und perfektioniert wurde. Eingedenk der zahlreichen Einschläge im Zuge ihrer Entwicklung nennen wir sie das Doppel-C oder Carlo-Corner.

 


Man findet das Carlo-Corner in vielen Ortschaften, bevorzugt auf Dorfplätzen mit heftiger Richtungsänderung der Durchzugsstraße. Viele dieser Dorfplatz-Kurven glänzen im wahrsten Sinne des Wortes mit recht glatter Oberfläche. Je langsamer man die Ecke durchfahren muss, umso besser für die Gestaltung der Festivität. Jedenfalls sollte die maximal mögliche Geschwindigkeit unter 60km/h liegen, da man sonst auf unterhaltsame Dinge in der Bremsphase verzichten muss. Wie gesagt, wir befinden uns im Ortsgebiet. 


Unser Fahrzeug der Wahl ist der Stadttransporter, also ein Roller oder eine kleine Enduro. Der Untersatz wird mit Allwetter- oder sehr guten Enduroreifen mit wenig Negativprofil ausgerüstet. Wie Carlo in zum Teil recht schmerzhaften Erfahrungen herausfand, sind gute Allwetterreifen für Roller in engen, rutschigen Ecken nicht zu schlagen. Auf einer Kleinenduro mit guter Bereifung hat man dafür mehr Kontrolle bei schmierendem Vorderrad.
Die Dorfecke der Wahl wir nun eingehend befahren und analysiert. Oftmals ist der Asphalt über  Kurvenlänge und -breite von unterschiedlicher Qualität. Zumeist sind die Reifenkorridore rutschiger als Ränder und Mitte.


Entsprechend vorbereitet bestellen wir an der Tankstelle am Ortseingang einen großen Braunen. Und harren der Dinge, die da kommen. Jetzt endlich arbeitet die Statistik für uns. Im Ortsgebiet bei 50km/h Höchstgeschwindigkeit muss man nicht stundenlang auf einen Henker warten. Hier bietet sich jeder vorbeifahrende Zweiradartist als potentieller Freudenspender an. Spült es einen Kandidaten vorbei, setzt man die Cafeschale ab und nimmt unaufgeregt die Verfolgung auf.

 

 

DER DORFTROTTEL


Bei im Ortsgebiet üblichen Fahrgeschwindigkeiten von 65 ? 70km/h findet man sich mit etwas mehr Dampf alsbald am Hinterrad des Kandidaten ein. Dort gibt man die Rolle des absoluten Dorftrottels und fährt mit wilden Schlenkern rechts und links bis knapp auf Höhe des Vorausfahrenden auf. Die Dorftrottel-Schlenker samt kurzen Einbremsern dienen sowohl der Motivation als auch dem Aufwärmen der Reifenflanken. Auch ein Allwetter-Gummi zeigt nach kurzer Anfahrzeit etwas bessere Haftwerte. Um die Motivation des Vorausfahrenden nicht zu gefährden, darf der Dorftrottel keinesfalls aussehen wie das Anwärmen der Reifen vor einem GP-Start. Mit etwas Glück findet man einen Motorradfahrer mit Roller-Allergie. Dieser Typus ist im Nahbereich von Großstädten recht häufig vertreten und verspricht die beste Unterhaltung.          

Ganz abseits vom Thema erstaunt mich die hektische Betriebsamkeit, die so mancher Motorradfahrer bei Sichtung eines Rollers an den Tag legt. Scheinbar haben Gerüchte und Fachzeitungen die Illusion eines Superhelden des Stadtverkehrs erschaffen, der schwerelos über Autodächer und Verkehrsinseln schweben kann. Ich finde, dass es langsam Zeit wird, frechen Golatschenjongleuren auch im dichtesten Verkehrsgewühl die Ohren langzuziehen und habe deswegen in den vergangenen Wochen mehrmals mit Bestimmtheit durchgegriffen.

Aber zurück zum Thema. Wir streben also hinter und seitlich des vorausfahrenden Motorrades dem Carlo-Corner zu und begeben uns, sobald der Kandidat vom Gas geht, innen auf die Höhe seines Vorderrades. Versuche mit Innenseite, gleiche Höhe erwiesen sich als weniger unterhaltsam, weil man dem außen Fahrenden dabei zu viel Fahrbahnbreite und damit die Motivation wegnimmt. Positioniert man sich etwas weiter vorne, kann er bequem umlegen und etwas zur Mitte versetzt folgen. Man darf aber auch nicht zu schnell vorbeigleiten, sonst wird der Kandidat gar nicht versuchen, dranzubleiben. Je nach Beschaffenheit des Asphalts hält man die griffige Linie, der Hintermann wird sich jetzt, seitlich versetzt, mit weniger freundlichem Asphalt auseinandersetzen.
Hört man lautes Scheppern oder sieht einen Scheinwerfer jenseits der Mittellinie, sollte man vor Rückkehr zum Cafe die nächste Kirche aufsuchen, um seine Sünden zu beichten. Jedenfalls aber darf man bei der gesetzlich vorgeschriebenen Hilfeleistung den eigenen Helm nicht abnehmen, da die Gefahr von saftigen Ohrfeigen einfach zu groß ist. 

Und so finden wir mit der hoch mobilen Methode Carlo-Corner zurück zum Baum des Ursprunges, zur Essenz der Lebensfreude in stressfreier Umgebung mit minimalem Zeitaufwand.             
 

 
 
FOTO:  TilShiftler
TEXT:  AMBROSIUS

 

PS

AN & AUFREGUNGEN WERDEN ANGENOMMEN!