Abbringen kann sie davon nicht einmal ihr schwerer Crash am Hungaroring.
Pünktlich zum Start der Rennsaison steht sie mit der BMW Doppel-R am Grid.
Karriere vor dem Aus.
Dass Sabine Holbrook beim Saisonauftakt der FIM European Alpe Adria Road Racing Championship am Slovakiaring mit der BMW S 1000 RR am Grid stehen würde, damit hatte keiner gerechnet.
Nach einem Sturz auf dem Hungaroring im vergangenen August stand ihre Rennfahrerkarriere vor dem Aus. Ihre rechte Hand verklemmte sich unter dem Motorrad und wurde über den Asphalt geschleift. Dabei verlor die 36-Jährige, die erst mit 29 das Motorradfahren lernte, den kleinen Finger komplett und großteils auch den Ringfinger.
Man könnte sagen, sie hatte Glück im Unglück.
Bei der Notoperation in Ungarn geriet sie an einen kompetenten Handspezialisten, der das rettete, was von ihren Fingern übrig war. Zurück in der Schweiz, setzte sie alle Hebel in Bewegung, um einer Amputation zu entgehen. Ein Chirurg nahm sich nach anfänglichen Bedenken ihres Falles an und rekonstruierte in vier Operationen ihre beiden Finger. Prototypen, die der Arzt später bei der größten Handchirurgenkonferenz in London vorstellen wird.
Technik kompensiert Kraft.
Mit dem Gefühl in ihrer Hand kehrte die Hoffnung zurück, dass sie sich bald wieder auf ihre Doppel-R setzen konnte. Im Januar war es so weit: Test in Spanien. Wärme tanken – und Selbstvertrauen. Leicht war es nicht.
Die fehlende Kraft will und muss sie durch einen enorm fitten Körper und eine veränderte Technik kompensieren.
Verschiedenste Kombinationen von Levers, Discs und Pads hat sie ausprobiert. Mit Erfolg: Die Testergebnisse aus Valencia belegen, dass Holbrook schneller ist als je zuvor. Um fahrerisch noch besser zu werden, hat sie sich Roland Resch, den Superbike-Champion im Alpe Adria Cup des vergangenen Jahres, als Riding Coach gesichert.
Unbedingt wollen.
Jetzt steht fest: Sabine Holbrook wird mit der Doppel-R den kompletten Alpe Adria Cup bestreiten. Geplant sind zudem einige Rennen in der Klassikerszene, auch das Klassikerrennen auf der berühmt-berüchtigten Isle of Man. Ein großer Traum ist für sie ein Start in der Endurance-WM.
Außerdem wird sie bei den BMW Motorrad Days dabei sein und Glemseck 101 mitfahren.
Gegen Ende der Saison will sie einen Gaststart in der Spanischen Meisterschaft absolvieren.
Spätzünder wider Willen.
Denn auch wenn Holbrook bereits als Jugendliche von Rennmaschinen geträumt hatte, kam doch nie der passende Zeitpunkt, ihre Leidenschaft auszuleben.
Racing von null auf hundert.
Knapp drei Monate später stand sie zum ersten Mal am Grid. Ein Jahr später holte sie den ersten Sieg. 2014 schloss sie die Saison in der Supersport-Klasse des Alpe Adria Cups in der Top Ten ab – in einem Feld von über 40 Startern. Sechs Jahre nach ihrer ersten Motorradfahrt überhaupt ging sie in der höchsten Klasse der Superbikes an den Start. Racing von null auf hundert.
Keine Angst vor nichts.
Auf der Rennstrecke kennt Sabine Holbrook keine Ängste. Selbst den Tag ihres schlimmen Unfalls auf dem Hungaroring hat sie positiv in Erinnerung. Denn am selben Vormittag stellte sie den Rundenrekord auf.
Angst nicht, doch Sorgen bringt ihre Leidenschaft für den Rennsport schon mit sich. Dass der finanzielle Druck irgendwann zu groß wird.
Dass sie Erwartungen nicht erfüllen kann. Weil es keine separate Klasse für Frauen gibt, ist ihre Leistung für Gönner und Sponsoren oftmals schwer einzuordnen.
Damit sie mit ihren männlichen Konkurrenten nicht nur mithalten, sondern sie schlagen kann, arbeitet Holbrook eisern an ihrer Fitness. In der Zeit, die neben Rennen und Training bleibt, bietet sie unter anderem Fahrsicherheitstrainings und Motorradreisen an und tritt als Keynote Speaker auf.
Rennen, Familie und jede Menge Träume.
Auch wenn Sabine Holbrook ein Familienmensch ist – rar gesät sind die entspannten Tage zuhause mit ihrem Lebensgefährten, ihren beiden Kindern, den Hunden und Katzen. So oft wie möglich reisen sie alle – einschließlich der Haustiere – gemeinsam zu den Rennen. Doch immer geht das nicht und der letzte Familienurlaub liegt bereits sechs Jahre zurück.
Doch wenn einmal nichts ansteht, genießt sie die Zeit mit der Familie in vollen Zügen. Beim Kochen kann sie abschalten.