Beim Schutz von verletzlichen Verkehrsteilnehmer/-innen besteht großer Handlungsbedarf: Die Europäische Kommission will die Zahl der getöteten bzw. schwer verletzten Personen im Straßenverkehr bis 2030 um 50 Prozent senken. Die Unfallzahlen sinken seit 2013 jedoch nur leicht, der Zielwert 2020 wurde nicht erreicht. „Speziell sogenannte verletzliche Verkehrsteilnehmer/-innen sind gefährdet: Knapp die Hälfte der getöteten Personen im europäischen Straßenverkehr waren 2018 Fußgänger/-innen, Rad- oder Motorradfahrer/-innen. 83 Prozent der getöteten Radfahrer/-innen verunglückten aufgrund einer Kollision mit einem motorisierten Fahrzeug. Gleichzeitig steigen immer mehr Menschen auf das Rad um“, sagt Cornelia Zankl, Projektleiterin bei Salzburg Research.
Bisherige Bestrebungen fokussierten vor allem auf die Erkennung von Fußgänger/-innen. In einer neuen Forschungsinitiative stehen die Radfahrer/-innen im Mittelpunkt: Unternehmen und Forschungseinrichtungen erforschen und erproben gemeinsam Möglichkeiten zur kooperativen Detektion von Kollisionsrisiken von Radfahrer/-innen sowie nicht-ablenkende Warnkonzepte. „Die fortschreitende Vernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen bietet hier eine große Chance, auch die Sicherheit von Radfahrer/-innen zu erhöhen. Denn viele Fahrräder verfügen z.B. durch die Stromversorgung über Nabendynamos oder den Akku bei E-Bikes oftmals bereits über die technischen Voraussetzungen“, so Zankl weiter.
Vernetzte Verkehrsteilnehmer/-innen: Wenn Fahrzeuge miteinander kommunizieren
Vernetzte und (teil-)automatisierte Fahrzeuge sind zunehmend in der Lage, mit anderen Fahrzeugen sowie mit der Verkehrsinfrastruktur, wie etwa intelligenten Ampeln, zu kommunizieren. Fahrräder sollen hier aktiv in die Interaktion mit motorisierten Fahrzeugen einbezogen werden. Durch die aktive Kommunikation mit Fahrrädern bzw. durch eine verbesserte Erkennungsleistung wird die Zuverlässigkeit der Umfeldwahrnehmung von vernetzten Fahrzeugen erhöht.
Diese Kommunikation zwischen Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmer/-innen gepaart mit der Ausstattung von Verkehrsknoten mit Umfeldsensorik ermöglicht eine anonyme und zuverlässige Dokumentation des Verkehrsgeschehens. So können Risikopotenziale, wie z.B. Beinahe-Kollisionen, leichter erkannt werden. Diese Daten schaffen neuartige Möglichkeiten in der Bewertung von Verkehrsinfrastrukturen für Kommunen bzw. in der Verkehrssicherheitsforschung.
From Lab to Field: Feldtest unter realen Bedingungen
Im Forschungsvorhaben werden erstmals drahtlose Kommunikationskanäle zwischen unterschiedlichen Fahrzeugen und Fahrrädern unter realen Bedingungen validiert. Die verschiedenen, im Projekt entwickelten Methoden, werden jeweils in zwei Szenarien – auf einer Freilandstraße und an einem innerörtlichen Verkehrsknotenpunkt – überprüft. Als Testfahrrad kommt das sogenannte Holoscene Bike von Boréal Bikes zum Einsatz, das mit umfassenden Kommunikationstechnologien und Sensorik ausgestattet sein wird.
Damit die Kommunikation zwischen Fahrrädern und motorisierten Fahrzeugen funktioniert, muss das Fahrrad sehr gut über seine eigene Position Bescheid wissen. „Um die Positionsgenauigkeit von Fahrrädern validieren zu können brauchen wir kontrollierte Experimente im realen Umfeld und ein hochpräzises Map-Matching auf digitalen Karten. Unterschiedliche Lösungsansätze werden untersucht, um geeignete und sichere Methoden auswählen zu können“, so Zankl.
Aber auch Fahrräder ohne eigene Umfeldwahrnehmung werden mit einbezogen, um speziell von automatisierten Fahrzeugen besser erkannt zu werden. Besonders bei schwierigen Umgebungsbedingungen, wie etwa in der Nacht, erkennt die Umfeldsensorik von Fahrzeugen nur mehr etwa 40 Prozent der Radfahrerinnen und Radfahrer. „Wir werden unter anderem Lösungen auf Basis von Mono- bzw. Stereokameras mit Unterstützung von passiven/aktiven Near-Infrared-Reflektoren am Fahrrad und an der Kleidung sowie prototypische optische Sensoren und Ultraschall-Sensoren entwickeln und testen“, sagt Projektleiterin Zankl. Auch die Intention von Fahrradfahrer/-innen, z.B. ein Abbiegevorhaben, soll erkannt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich der nicht-ablenkenden Warnung vor Kollisionsrisiken für Radfahrer/-innen selbst. Bisher wurden Warnkonzepte vor allem für Fahrzeuglenker/-innen untersucht. Im Forschungsvorhaben stehen hingegen die Radfahrer/-innen im Mittelpunkt. Unterschiedliche Konzepte zur Kollisionswarnung für Radfahrer/-innen - visuell, haptisch, akustisch – werden entwickelt.
Die Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben schaffen Grundlagen mit dem Potenzial, auch die Sicherheit von Fußgänger/-innen und anderen verletzlichen Verkehrsteilnehmer/-innen zu erhöhen.
Text & Foto: Salzburg Research Forschungsgesellschaft mbH