Die Aufteilung der Pressemotorräder bei Motorradreporter erfolgt nach strengen Kriterien, wie in der Nahrungskette der Natur, oder übersetzt je nach Fahrkönnen und Erfahrung.
Als Derjenige, der ca. 250 Tage im Jahr mit dem Roller seinen täglichen Arbeitsweg bestreitet (12km pro Weg durch die Innenstadt), war es damit klar, dass ich den BMW C400X Maxi Scooter testen durfte.
Und BMW war richtig großzügig, mehr als eine Woche durfte ich den Scooter testen, kein „Anfüttern“ wie bei einem organisierten Pressetermin in warmen Gefilden (so wie damals in Valencia bei der Vorstellung des mittlerweile eingestellten C650), der dich gegebenenfalls in eine bessere Empfindungslage bringt. Also die besten Voraussetzungen für einen ehrlichen Test unter den harten Alltagsbedingungen, wie kalte Temperaturen in der Früh, Stau in der Innenstadt und auch einmal ein Regenschauer. Kann mich die dreistufige Sitzheizung milde stimmen, wird die Griffheizung meine favorisierten Lenkerstulpen übertrumpfen und komme ich mit dem Riesending überhaupt zwischen den Autos in der Spurgasse voran?
Dieser Bericht wird alles erklären:
Wie mit BMW Salzburg vereinbart, hole ich den C400X von BMW-Wien Heiligenstadt ab, erhalte eine kurze Erklärung, überprüfe, ob es Vorschäden gibt, und ob der Seitenständer von vorherigen Tests schon angeschliffen wurde (Anmerkung: bei meiner Rückgabe war er dann nicht mehr jungfräulich) und lehne das freundliche Angebot meinen privaten Roller (Aprilia Sportcity mit Allem - Tuningtechnisch) im sicheren BMW Gelände zu parken dankend ab, denn wozu ist man sonst bei der Donau gut versichert?!
Die erste Fahrt, nach einem unmittelbaren Umstieg von meinem Leichtgewichtroller (159kg) auf den BMW Panzer (208kg) überrascht, denn die 208kg merke ich jetzt einmal nicht so extrem wie vorab befürchtet. Das Handling ist doch relativ leichtfüßig. Die Sitzposition ist mehr auf Couchniveau, d.h. nicht so Vorderradorientiert, sondern eher nach hinten geneigt, vor allem durch die höhere Lenkerposition.
Das Display ist groß und leicht ablesbar, egal wie die Sonne steht, und wie bei allen neueren modernen Fahrzeugen gibt es einige Spielerein, wie verschiedene Anzeigen mit mehr oder weniger unwichtigen Infos (wer z.B. braucht bei einem Automatikroller eine Drehzahlanzeige displayfüllend?).
Verbindet man den BMW C400X mit der BMW App auf seinem Handy, dann kann man seine Fahrten aufzeichnen (mit Grafik wo man wie schnell gefahren ist – also Achtung!!), aber auch über das Handy die Navigation nutzen (fand ich recht praktisch). Telefonieren und Musikhören geht meines Wissens nur mit einem BMW Helm, den man ebenfalls verbinden kann.
Der Antritt vom Start weg, oder auch das Beschleunigen aus verschiedenen
Geschwindigkeitsbereichen ist akzeptabel, aber nicht umwerfend, im Vergleich zu meinem Sportcity mit Malossi Kit. Die Höchstgeschwindigkeit lt. Tacho war 142km/h, heutzutage also schnell genug für die Autobahn, wo die ganzen Käfigfahrer selbst bei erlaubten 130km/h nicht schneller als 120km/h fahren.
Die Bremsen verzögern astrein und das ABS spürt man zwar leicht, aber dafür kann man ohne Bedenken den Hebel voll ziehen, auch im Regen, bis die Blinker ein Warnsignal geben, weil der Roller eine Notbremsung erkennt. Im unteren Lastwechselbereich, also z.B. im Stau bei langsamer Fahrt wirkt die Variomatik etwas bockig, aber da wird es sicher Möglichkeiten der Optimierung von DR Pulley geben.
Das Motorgeräusch ist am Stand am lautesten und erinnerte mich an meine 89’er LC4 ohne Ausgleichswelle. Während der Fahrt merkt man jedoch nichts und hört auch nicht viel. Das mit dem Hören liegt vielleicht auch an dem nicht verstellbaren Windschild, welches den Fahrtwind genau auf den Helm leitet und mein Nolan ist ja nicht bekannt dafür ein leiser Helm zu sein. Dafür weisen die beiden senkrechten „Spoiler“ in der Verkleidung auf Fußhöhe den Wind ganz gut von den Beinen weg (merkt man in der Früh, wenn es nur 3 Grad hat).
Etwas hölzerner wirkte dann das Fahrwerk. Der lange Radstand brachte zwar generell wenig Unruhe in die Fuhre, aber kurze Schläge (Schlagloch, abgesenkter Kanaldeckel, schlecht ausgebesserter Asphalt nach einer Baustelle) spürt man schon ordentlich in der Columna vertebralis. Von einer Sänfte war die BMW C400X dann weit entfernt. Beim Fahrwerk hätte ich mir mehr Komfort erwartet. Dafür gibt es gegen Aufpreis eine dreistufig- beheizte Sitzbank und Griffheizung. Die beheizte Sitzbank war mir neu und ja, der Popo wird auf Stufe 3 ganz ordentlich erwärmt, aber es reicht nicht, um z.B. die Sitzbank nach einem kurzen Regenschauer rasch wieder zu trocknen.
Die Griffheizung ist zwar ein nettes Feature, aber wenn man immer 1-2 Finger auf den Bremshebeln hat, dann frieren diese Finger trotzdem. Da dachte ich an meinen Ski Doo Fahrt in Kanada, den bei den Ski Doo’s gab es schon vor 30 Jahren eine Hebelheizung (für den Gashebel) die auch bei -25 Grad wirkte. In Anbetracht des fürstlichen Listenpreises, wäre so eine Hebelheizung doch einmal eine Variante, oder BMW?
Kommen wir zum Keyless Ride: Ebenfalls ein nettes Feature, denn man benötigt den Schlüssel nur in der Hosentasche, um den Sitz zu entsperren, den Roller zu starten, oder auch um die Lenkradsperre zu aktivieren/deaktivieren. Während das Deaktivieren noch recht rasch mittels kurzen Drückens des Startknopfs funktioniert, dauert das Verriegeln der Lenkradsperre dann doch länger als herkömmlich mit dem Schlüssel. Man muss den Lenker exakt in Position bringen und dann relativ lange den Startknopf betätigen, bis die Lenkradsperre aktiv wird. Trotzdem überwiegen die Vorteile und ich
würde in der Aufpreisliste ein Hackerl bei Keyless Ride machen.
Beim Stauraum gibt es BMW-rollertypisch nur das manuell erweiterbare Helmfach, um einen Vollvisierhelm am Stand unterzubringen. Fahren kann man mit dem erweiterten Helmfach nicht. Zusätzlich gibt es 2 Ablageboxen im vorderen Bereich, mit USB-Anschluss Möglichkeit. Bei den Extras gibt es sicher externe Koffersysteme, aber diese habe ich mir gar nicht im Detail angesehen, weil ich schon in der Standardausführung zweifelte, ob die BMW C400X spurgassentauglich im Citystau ist. Allein der Riesenauspuff rechts (Euro 5 sei Dank) bereitete mir Sorgen, wenn ich mir vorstellte beim Spurgassenfahren damit an einem Auto hängen zu bleiben.
In der Praxis blieb ich tatsächlich einmal damit hängen, als ich beim Einfahren in eine Parklücke die Kurve zu sehr schnitt. Zum Glück stand da nur ein anderes Motorrad und sein Vorderrad hinterließ keine Spuren am BMW Endtopf. Nach dieser Vorwarnung fuhr ich wesentlich defensiver den Spurgassentest in der City. Man kommt mit der BMW erstaunlich gut zwischen den Autos durch, aber das Umfahren eines Autos, welches die Spurgasse blockiert, ging dann natürlich nicht mehr so einfach, wie mit meinem Sportcity. Die dadurch defensivere Fahrweise kosteten mich bis zu 5min bei der Fahrt nachhause durch die Innenstadt um ca. 16:00 Uhr. Das kann man verschmerzen, vor allem ist man mit weniger Risiko unterwegs, was sicher langfristig gesehen ein wesentlicher Vorteil ist.
Nach der Woche zeigte der Bordcomputer folgende Infos:
Fahrzeit 6:28h, Trip 170,9km, durchschnittliche
Geschwindigkeit 37km/h, Durchschnittsverbrauch 4.0 l/100km
Mein Fazit:
Für mich wäre der BMW Roller dann interessant, wenn ich im erweiterten Speckgürtel einer Stad wohnen würde und damit täglich über die Autobahn pendle, oder auch bei hohem Landstraßen- Anteil. Dann würde ich ernsthaft über den BMW C400X nachdenken. Als reiner Cityfahrer bleibe ich lieber bei den kleinen agilen Rollern, wie mein Sportcity, oder auch einer Vespa, zwar mit Komfortabstrichen im Vergleich zum BMW C400X, dafür mit Handlingsvorteilen und einem rascherem Vorankommen im Innenstadtstauwahnsinn.