BMW R12 - wir müssen reden

Nach der M1000XR stellt uns BMW Motorrad eine R12 zur Verfügung.

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BMW R12

WTF - ich bin der S1000RR Typ, was soll ich mit einer R12. Ein Typus Pseudo Copper, heutzutage als Bobber definiert, mit dem altbewährten und bekannten 1200er Boxermotor. Bei BMW in der Rubrik Heritage eingeordnet. Vermutlich weil man sein Erbe benötigt, um sich sowas zu genehmigen, dachte ich. Überrascht war ich dann vom Einstiegspreis ab EUR 16990.- (in Österreich), mit Optionen kommt man dann aber doch flott auf 22k.

Etwas verwirrt übernehme ich die BMW R12 bei BMW-Wien, der leiwande Verkäufer Michael P. warnt mich schon vor: "du wirst überrascht sein". Also nehme ich auf dem Bobber Platz und sofort fällt mir die geringe Sitzhöhe, sowie die entspannte Sitzposition mit guter Lenkerposition auf. Im Schritttempo den Parkplatz verlassend die nächste Erkenntnis: das Ding ist unerwartet agil bei langsamen Geschwindigkeiten, wird mit höherem Tempo aber zunehmend stabiler, wie ein Fels in der Brandung. Natürlich benötigt die R12 dann etwas Druck, um in die Kurve zu stechen, aber dass empfand ich keineswegs als Negativ.

Und wenn wir schon bei Negativ sind, um ähnlich einer Hollywood-Dramaturgie folgend gleich im Mittelteil des Testberichts das Negative erwähnen, um schließlich bei einem Happy End zum Abschluss zu kommen.

  • der Schaltautomat funktioniert bei den Boxermotoren nicht gut. Dieser benötigt gewisse Drehzahlen, die man beim Cruisen mit der R12 aber selten erreicht.

  • das Schlüssel/Pseudo Handsfree System bei der R12 ist eigentlich eine Farce. Erstens hat der Klappschlüssel die bis dato größte Dimension aller Schlüssel, die ich in meinem langen Leben je gesehen habe, und Zweitens bin ich mir nicht sicher, ob ich damit in der Messerverbotszone in Favoriten nicht ein Problem mit der Poldizwei bekommen könnte. Aber der Übergag ist die Funktionalität. Ich kann das Motorrad mit dem Schlüssel in der Tasche starten, aber für die Lenkradsperre muss ich das Klappmesser auspacken und in einem Schloss herumfummeln. Und auch für den Tankdeckel benötigt man das Klappmesser, was beim Tanken in voller Montur dann doch nervt, weil man die Handschuhe ausziehen muss, um das Ding aus der Hosentasche zu bekommen.

Stopp! Jetzt nicht mit dem Lesen aufhören, die guten Sachen kommen jetzt, denn die BMW R12 hat ein leiwandes sportliches Fahrwerk, sehr gute Bremsen, die Fahrmodi ändern merkbar das Verhalten des Motors, bei "Rock" poltert der Boxer schon am Stand, während bei "Roll" der Motor ähnlich wie beim bösen Wolf Kreide gefressen hat. Und das wichtigste: die R12 machte mir tatsächlich zum fahren Spass, sie hat mir richtig getaugt und ich nutzte sie täglich während meiner zweiwöchigen Testfahrt.

Liegt das an meinem Alter, am Übergewicht, oder was zum Teufel ist da los. Was macht BMW mit mir. Vom S1000RR Typen zum Bobberfan?!? Sh.t, was ist da los. Das kann es ja nicht sein. Dann sprechen mich noch Fremde Leute wegen der R12 an, oder bleiben neben der geparkten Maschine stehen und mustern sie von allen Seiten. Ich bin nervlich erledigt.

Eine Klärung muss stante pede her

und zwar in Form einer längeren Ausfahrt auf den Bikerstrecken in Niederösterreich. Mit Freunden wird die Kalte Kuchl anvisiert, im Cruisermodus. Die Autobahnanfahrt verlief bei Einhaltung der Geschwindigkeitsempfehlungen, trotz fehlendem Windschutz, super entspannt und als uns drei Kurvenhatza überholten, musste ich auch Gas geben.

Bis 150 konnte ich in langgezogenen Kurven bequem und ohne Rallystreifen in der Unterflak mithalten, beim Anbremsen von Kurven zeigten die Brembobremsen keine Schwäche, ich überlegte sogar wo ich vollstrecken würde, aber die engen Kurven des Ochssattels ermöglichte ihnen letztendlich die Flucht, da die Schräglagenfreiheit der R12 für diese Kurven doch zu gering ist. Die Nibberln bei den Fussrastern waren dann angeschliffen und ich war unsicher, welcher Teil der R12 als nächster den Boden küssen würde. Die Zylinder des Twinboxers, oder doch die Auspuffanlage. Beides würde vermutlich fatal enden, für mich und die R12, also wechselte ich wieder in den Cruiser Modus.

Eine Mischung aus Klassiker mit moderner Technik

so würde ich die BMW R12 beschreiben. Für einen kleinen Aufpreis gibt es ein ebenfalls kleines modernes TFT Display, mit wenigen Infos damit niemand überfordert ist, passend zum Style der R12. Tankanzeige gibt es keine, aber ich bekam eine Warnung mit Restreichweite, wenn der Treibstoff knapp wurde. 

Hill Start Control, Tempomat, Heizgriffe, RDC und das Headlight Pro bestätigen die moderne Technik und der hintere Kotflügel ist aus Blech und nicht aus Plastik, so wie es sich für dieses Motorradtype eben gehört. Die Farbe Avus Silver Metallic mit der Option 719 Sitzbank hat optisch etwas hergemacht, ich dachte zuerst die schwarze Version wäre eher meins, aber im direkten Vergleich gefiel mir die aufpreispflichtige Farbkombination doch besser.

Innerstädtisch in der Spurgasse waren die Lenkerendenspiegel zwar unvorteilhaft, aber dafür ermöglichten sie einen sehr guten Rückblick, auch im Poltermodus "Rock".

Ehrliches Fazit

  • ein tolles Motorrad für diejenigen die noch Tom Cruise kennen, ein Colt für alle Fälle im TV sahen, oder wenn es schon beim Haxl heben zum Aufsitzen im 5. Lendenwirbel zwickt

 

  • eine bequeme niedrige Sitzposition und durch die Lenkerposition fühlt man sich wie Keanu Reeves in John Wick 3

 

  • der beste passende Motor für so ein Bike, der 1200er Boxermotor mit Druck von unten

 

  • bewährte BMW Qualität, mit Ausnahme der Zündschlüsselanwendung

 

  • wenn man nicht Hardcorespurgassenfahrer in der Stadt ist, durchaus ein Daily Driver mit Cruising Eigenschaften

 

  • ein sportliches Fahrwerk das verbunden mit dem Sitz trotzdem Komfort bietet

 

  • Überraschenderweise hat mir die BMW R12 getaugt, obwohl ich davor so einem Motorrad nicht einmal einen Blick gewürdigt hätte und Ja, ich habe mir früher Colt Seavers im Fernsehen angesehen


Danke an BMW, für die Erweiterung meines Horizont, aber meine nicht volljährige Tochter (Supermoto und Superbikefan) hat mich dann doch wieder geerdet. "Sowas kaufst Du dir aber nicht?!" Obwohl, damit fahren würde ich eigentlich schon wieder wollen.

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