Zwischen 600 und 900 Kubik, also der Motorrad-Mittelklasse, herrscht gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Platzhirsche sind die Japaner - der seit Jahren nicht mehr aufgewertete und deshalb schwache Yen hilft Honda, Yamaha & Co., viel Motorrad fürs Geld anzubieten.
Die europäischen Anbieter können da nur schwer dagegenhalten; trotzdem hatte sich BMW im vergangenen Jahr entschlossen, die zweizylindrige F 800-Baureihe auf den Markt zu bringen, um Paroli zu bieten. Wie schwierig das ist, zeigt der aktuelle Rückzieher der Münchner: BMW hat sich entschlossen, das als nächste Ausbaustufe gedachte und fertige Modell F 800 Roadster, die unverkleidete Version, in der Garage zu lassen. "Die Japaner lassen uns mit ihren Preisen keinen Spielraum", heißt es zur Begründung. Die bislang wenig erfolgreiche Modellreihe wird so weiter geschwächt.
Eine komplett neue Modellfamilie
Trotz aller Probleme folgt aber jetzt mit Aprilia die zweite europäische Marke, die in diesem Segment Erfolg sucht: SL 750 Shiver heißt die erste Version einer ganzen Modellfamilie, die die Wettbewerber erschrecken soll. Zumindest lässt das die Namensgebung vermuten: to shiver steht im Englischen für erschaudern, zittern. Aprilia setzt auf Sieg, obwohl das neue Bike, für das es zu Beginn kein ABS geben wird, mit 8200 Euro deutlich teurer ist als die Honda Hornet oder die Kawasaki Z 750, beide jeweils inklusive ABS.
Auch wenn Aprilia mit der Shiver voraussichtlich erst im Laufe des Juli kommt und damit viel zu spät dran ist, um in der Saison 2007 noch einen Blumentopf gewinnen zu können, zeigen sich die Italiener optimistisch - und das mit gutem Grund. Da ist zum einen der wirklich gelungene V2-Motor, der vom Start weg richtig Spaß macht: fahrbar ab 2000 Touren, druckvoll ab 4000 und drehfreudig bis 10.000 Umdrehungen.
Unterstützt wird das Vergnügen durch ein blendend zu schaltendes, wenn auch im sechsten Gang sehr lang übersetztes Getriebe. Das Fahrwerk macht alles mit, was der Fahrer im Sinn hat - absolut stabil und handlich, mit großzügiger Schräglagenfreiheit und einer wunderbar dosierbaren Bremsanlage.
Dass die ABS-Entwicklung mit der extrem rasanten Fahrzeugentwicklung, für die sich Aprilia nur 24 Monate Zeit nahm, nicht mithalten konnte, darf man als Schönheitsfehler durchgehen lassen; im nächsten Frühjahr soll die 210 Kilo wiegende Shiver mit ABS zu haben sein. Dann wird es auch Gepäckträger, Topcase und Hauptständer geben; Nützliches wie Tankrucksack, Hecktasche, Seitenkoffer und ein Sport-Windschild steht bereits zum Start im Juli zur Verfügung. Ein komplettes Stauraumprogramm hat bei 190 Kilo erlaubter Zuladung auch durchaus Sinn.
Jetzt dürfen nur die Kunden nicht mehr erschauern
Das kantige Design der neuen Aprilia Shiver mag nicht jedermann gefallen, folgt aber ebenso klar dem aktuellen Trend wie die markante, Doppel-V-förmige Underseat-Doppelauspuffanlage. Auch im Cockpit hält sich die Shiver an die Mode: analoger Drehzahlmesser plus Digitaldisplay für alle anderen Informationen. Mit Bordcomputer, Gang- und Außentemperaturanzeige ist mehr als das Übliche geboten, allerdings ist die Übersichtlichkeit des Displays nicht gerade vorbildlich. Ohne Tadel dagegen ist die Bedienung des Bordcomputers vom linken Lenkergriff aus.
Insgesamt erscheint die 210 km/h schnelle Aprilia durchaus das Potential zu haben, die japanischen Konkurrenten zum Zittern bringen zu können. Freilich nur dann, wenn die bei Aprilia für den Vertrieb Verantwortlichen endlich mehr Kundenfreundlichkeit an den Tag legen und Termine bei Neuvorstellungen oder Ersatzteilversorgung zuverlässiger einhalten.
Dann könnte Aprilia eine Blütezeit erleben: Denn die Aussage, dass der V2-Motor bis 1200 Kubikzentimeter Hubraum einsetzbar ist, wurde längst gemacht. 750er, 1000er, 1200er, das Ganze unverkleidet, als Sportler, als ReiseEnduro und als Supermoto.